Jesaja 65, 1-10
Immer wieder lesen wir im Advent die kostbaren Texte des dritten Teiles im Buch Jesaja. Es sind Worte, die zuerst und bleibend an das jüdische Volk gerichtet sind, an Israel, damals an die Heimkehrer und Heimgekehrten aus dem Exil in Babylonien. Es herrscht Jubel und Freude beim Aufbruch, die Sehnsucht nach Jerusalem, nach dem Zion treibt sie an. Die Rückwanderung allerdings, ein vier Monate währender Karawanenzug von Babel nach Jerusalem ist mühselig, durch Wüstensand, wilden Tieren und Feinden ausgesetzt, Einsamkeit.
Mit der Ankunft in der Heimat sind die Rückkehrer wieder in Gottes Land. Doch in die Freude des Befreitseins mischen sich rasch Traurigkeit und lähmende Resignation: Jerusalem ist fast entvölkert und zum größten Teil ein Trümmerfeld. Der Tempel ist zerstört und wird von den fremden Völkern für ihre Opferungen benützt. Judäa ist zu einer Provinz des persischen Reiches geworden. Die Nöte des Alltags melden sich vehement.
Wo ist Gott? Hat er uns überhaupt noch im Blick? Vergessen? Zudem meldet sich das Ausländerproblem, der Umgang mit den benachbarten Nicht-Juden, mit den Unreinen. Sind sie zu meiden? Die Antwort Gottes ist eindeutig: „Ich ließ mich suchen von denen, die nicht nach mir fragten,
ich ließ mich finden von denen, die mich nicht suchten“. Und zu den Heimgekehrten, die die Treue Gottes in Frage stellen spricht er: „Wie wenn man noch Saft in der Traube findet und spricht: Verdirb es nicht, denn es ist ein Segen darin!“
So entsteht auf dem Zion ganz neu ein Volk Gottes aus armen, aus der Gefangenschaft befreiten, treugebliebenen Juden und aus „Fremden“, Heiden, die sich zum Gott Israels bekennen, ohne ihn zu kennen und sich mühsam eine Existenz erkämpfen. Nicht die Tradition, sondern die persönliche Entscheidung begründet nun die Zugehörigkeit zur Gemeinde.
Wir selber stehen staunend da und nehmen wahr, was Gott an Israel tut, und indem wir hören auf das, was in einzigartiger Weise Israel gesagt wird, nehmen wir Anteil und bekommen wir Anteil, ja werden wir Völker hinein genommen in die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Israels, wir werden hinein genommen in die Schauung Gottes, wie es Martin Buber so eindrücklich sagt. Was für ein Vorrecht!
Schwester Ruth Meili CCR