Meditation und Kontemplation

Beide Begriffe werden in unterschiedlicher Tradition oft für das gleiche Geschehen verwendet, so dass Definitionen immer zeit-und kulturabhängig sind.

In der Meditation trete ich bewusst in den Liebesraum Gottes und suche liebende Begegnung mit IHM. Ich bin da mit meinem Leib, atme im Licht Gottes, schweige und höre. In der Meditation wird dazu ein Wort, eine Erzählung aus der Bibel oder die Betrachtung einer Ikone ins innere Hören und Schauen mitgenommen. Selbsterkenntnis und Selbstannahme entstehen.

Die Kontemplation ist eine schon im frühen christlichen Mönchstum und später in der abendländischen Mystik verwendete Andachtsform, die mich in die Erfahrung des göttlichen Urgrundes führt, in ein Sein jenseits aller Formen. Im kontemplativen Weg übe ich ein absichtsloses Verweilen im gegenwärtigen Augenblick, in der Gegenwärtigkeit Gottes, jenseits aller Gedanken. Bei der Kontemplation halte ich mich allein mit dem Atem oder/und dem Beten des Namen Jesu oder ABBA, Gott hin – ohne jede Aktivität und Erwartung.

„Wie der Eisvogel erschaffen wurde zum Fischefangen und der Schmetterling zum Nektarsaugen, so ist der Mensch zur Meditation und zur Liebe zu Gott bestimmt“ (Ernesto Cardenal). Das spricht ein Verliebter. Ein angreifbarer Satz, verwundbar wie die Liebe selbst. Und doch ist er für mich wegweisend in meinem Verstehen und Erleben von Meditation. Meditation ist wie ein weiter Raum, Gott zu suchen, ihn zu lieben und mich lieben zu lassen.

Das ist für mich eine der schönsten Beschreibungen, was denn da passiert, wenn ich meditiere. Ich bin da – in Gottes liebender Gegenwart. Ich schweige und mein Herz hört zu GOTT hin und sieht in seinen Blick zu mir hinein: „Ich überlasse mich deiner Liebe“.

Damit ist Meditation zuallererst keine Methode! Es geht nicht um Technik, nicht um ein spirituelles Tun auf einer besonders reifen Ebene, sondern um liebende Begegnung mit Christus, mit Gott, dem Ewigen. Meditation ist ein Geschehen in der Bewegung des Heiligen Geistes. Darum ist es weniger eine Definitionssache als Erfahrung und Übung.

Meditation lerne und entdecke ich vor allem in der Bibel. In den erzählten Begegnungen zwischen GOTT und Mensch, in der fließenden Zwiesprache zwischen dem menschlichen Herzen und dem ewigen Lebensodem. Da ruft GOTT mitten im Alltag „Mose“ und dieser stellt sich hin zum brennenden Dornbusch und sagt „HIER BIN ICH“ und hört Gottes Namen: „ICH BIN DA.“ So geschieht mir Meditation auch heute: Ich lasse mich bei Namen rufen und halte in meinem Alltag inne, sage „hier bin ich“ und lausche in Gottes Gegenwart hinein, dem „ICH BIN DA.“ (2 Mose 3)

Meditation und Leib

Ich bin da als ganzer Mensch, wie der Betende in Psalm 63:

„Mein ganzer Mensch hält Ausschau nach DIR.“ Also alle Glieder und Sinne. Ich bin bewusst mit meinem Leib da, der ja Tempel des heiligen Geistes ist. Mein Leib in seiner Schwerkraft lässt mich ganz da sein im Jetzt, wenn mich meine Gedanken wegziehen. Ich nehme im Zeiten-Raum der Meditation meinen Atem wahr, geschenkter Lebensstrom, meine Gliedmaßen von den Füßen bis zum Kopf, meine Aufrichtung, meine Leibräume in mir und halte mich aus, so wie ich gerade da bin. Ich halte mich aus mit meinen Schmerzen, die sich plötzlich in der Stille vielleicht noch mehr bemerkbar machen, mit dem Lärm in mir, den vielen tausend Gedanken, die ich mir mache, halte mich aus mit meinem Herzschlag, meinen Gefühlen, Stimmungen und Verwirrungen. Das ist viel, sich so auszuhalten, sich nicht erst einmal ändern zu wollen, um GOTT gefälliger zu sein. Das ist viel, sich so da sein zu lassen und das will wohl immer wieder und immer wieder geübt werden. Ein Gebet von Frere Roger wurde mir hierzu wesentlich:

Christus, Du nimmst uns mit unsrem Herzen an, wie es gerade ist. warum sollten wir, bevor wir zu Dir gehen erst darauf warten, daß sich unser Herz ändert? Du verklärst es. Mit unsren eigenen Dornen entzündest Du ein Feuer. Die offene Wunde in uns, ist der Ort, an dem Du deine Liebe eingießt. Und selbst in unseren Verletzungen lässt du Gemeinschaft mit Dir wachsen.

Es gibt soviel Sehnsucht seit Menschengedenken, GOTT sehen zu wollen, ihm ganz nahe sein zu wollen:

„Und Mose sprach. Lass mich dein Angesicht sehen. Und GOTT spricht. Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorüberziehen lassen und will vor dir kundtun den Namen des Herrn…. Siehe es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen. Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felsspalte stellen und meine Hand über Dir halten bis ich vorübergegangen bin. Dann will ich meine Hand von dir tun und du darfst hinter mir hersehen aber mein Angesicht kann man nicht sehen.“ (2 Mose 33)

Es ist ein Raum für mich da. Eine Felsspalte, ein „Dazwischen“ zwischen allem, was mich fordert, bedrängt, zerstreut, nicht da sein lässt, eine kleine Spalte in dem Viel, Zuviel und Voll meines Lebens. Dahinein stellt mich GOTT, wenn ich bitte, „lass mich sehen“. ER lässt mich schauen. Behutsam, dass ich nicht erschrecke, seine Herrlichkeit ist nicht zu fassen, lässt er mich erahnen im NACH-SINNEN, NACH-SPÜREN. Ich erkenne im Nachhinein seine Güte, seine Spur in meinem Leben, wie ER vorübergegangen ist. So ergeht es mir oft, dass ich denke, es ist ja heute in der Stille vor GOTT gar nichts passiert, oder heute war ich wieder so zerstreut und in Gedanken gefangen und dann ahne ich erst später, wieviel ER mir geschehen ließ im Verborgenen, jenseits meines „Machens“. Das ist gut so. Denn Meditation lässt sich als geistliches Geschehen nicht nutzbar machen, um etwa besser im Beruf zu funktionieren oder als Wellnessereignis mit garantierter Entspannung. Es ist was es ist, sehr einfach, liebende Begegnung.

Am Anfang meiner Herzenszwiesprache steht also oft die Sehnsucht: „GOTT, du bist mein GOTT, den ich suche. Es dürstet meine Seele nach dir…“ (Psalm 63)

Meditation und Wort

In der jüdischen Mystik wird dieses Aufmerken und Hinwenden zu GOTT „kawana“ genannt. Es ist die Herzensaufmerksamkeit, die Hingabe an den einen ewigen Gott. Dabei trägt das WORT GOTTES mein Herz zum Herzen GOTTES. Gott schweigt nicht, mit seinem WORT schuf er und spricht ER weiter.

Meditation geschieht im Hören und Lauschen auf das lebendige WORT, das jetzt wirkt und in mir wirken will. Es ist ja kein vergangenes WORT. Dazu schreibt der jüdische Gelehrte Abraham Heschel, „Der Betende (und ich ergänze: der Meditierende) muss sein Herz auf jedes WORT richten. Er ist ein Mensch, der in einem Garten umhergeht, Rosen und seltene Blumen aussucht und eine nach der andere pflückt, um einen Kranz zu winden So geht der Beter von Buchstabe zu Buchstabe von WORT zu WORT und vereint sie im Gebet. Jedes WORT hält ihn fest und umklammert seine Seele und sagt ihm: Öffne dein Ohr, wenn du mich mit den Lippen formst. Betrachte mich, wenn du mich aussprichst.“ Mit den Sinnen nehme ich also das WORT auf. Ich begrüble es nicht, wende es nicht im Kopf sondern im Herzen, wie Maria und höre den Klang. Wie hört sich ein WORT aus GOTT an? Sprechen sie doch einmal laut, mehrmals für sich: „Es ist ein Raum bei mir, da sollst Du stehen“. Welcher Klang! Und wie sieht das WORT aus? Was erschaue ich? Z.B. die Felsspalte oder den Finger Jesu, wie er meine Wunde berührt. Wie streicht das WORT meine Seele? Lässt es mich weinen? Lachen? Erschüttert es mich? Wiegt es mich im Schoß GOTTES, in seinem Erbarmen? Es gibt so viele Begegnungsmöglichkeiten mit dem einen lebendigen WORT. Wenn wir es nur lieben lernen. „Beten können heißt stillstehen und auf einem WORT verharren. Sie pflegten viele Male dasselbe WORT zu wiederholen, da sie es so sehr liebten und verehrten, daß sie sich nicht davon trennen konnten.“ (Rabbi Zevi Elimelech von Dynow). Da ist sie wieder die Liebe, die das Meditieren ausmacht, es ist eben auch Liebe zum WORT. Ich lerne sie von meiner Wurzel, der jüdischen Meditationsweise. An sie will ich gern erinnern.

Mit Wort oder ohne alles in die Meditation?

Ich kann mich mit dem, was sich in mir spricht oder gerade nicht spricht, wo uns alle Worte genommen sind oder mit einem biblischen WORT in die Stille hineinziehen lassen: „Zieh du mich, heiliger Geist“ Mich hineinziehen lassen in das Geheimnis, dass GOTT da ist, bevor ich da bin und dass er zu mir spricht, ehe ich höre und dass er hört, ehe ich spreche. Wir alle sind dazu begabt dem Flüstern Gottes zu lauschen. Elia lernte es unter dem Wachholderbusch, dass GOTT sich in der Stille, wo eigene Kraft und Worte ausgegangen sind, sich leise offenbart.

„Seid still vor GOTT dem Herrn“ (Zephania 1,7), „Haltet Zwiegespräche mit eurem Herzen und seid stille.“ (Psalm 4,5)

Wir alle sind begabt für Meditation

Meditation ist ein sehr natürliches einfaches Geschen, das für jeden Menschen offen steht. Es ist eben kein Luxusgut für wenige, kein extravagantes Unternehmen, das einen besondern Geldbeutel oder besondere Bildung verlangen würde. Gottes Wort ist jedem Menschen zugänglich. „Es ist nicht im Himmel, …es ist auch nicht jenseits des Meeres,… dass wir sagen müssten: wer will es uns holen, dass wir es hören? Denn es ist das WORT ganz nah bei dir, in deinem Mund und in deinem Herzen…“ (5 Mose 30,12-14)

Jede und jeder kann aus Gottes Quelle trinken, wie ein Schmetterling das Nektarsaugen kann. Und hier können zusammenkommen, was in unsrem Alltag so oft auseinander fällt:
In der Meditation umarmen sich Leib und Geist, meine Sehnsucht und Gottes Sehnsucht nach mir, WORT und MENSCH, Stille und Lärm, Schweigen und Hören, mein Atem und SEIN ewiger Atem, mein Stammeln und sein „Sch …, es ist alles gut“. Denn „GOTT hat an allen Dingen genug, nur allein die Berührung der Seele wird ihm nie genug.“ (Mechthild von Magdeburg).

Kontemplation

Für die Kontemplation gilt im Wesentlichen alles, was für die Meditation gesagt wurde.
Dazu erkenne ich in ihr gleichzeitig eine Erweiterung und eine Verdichtung der Meditation.
Ich gehe in die Stille zu GOTT mit keinem weiteren Impuls als meinem Atem und meiner inneren Herzensausrichtung zu GOTT hin.
Dabei kann ich den Namen Jesu beständig beten in der Form des Herzensgebetes.
In der Stille kann es geschehen, dass ich in meinem Seelengrund an meinen inneren Lichtfunken rühre, das von GOTT in mir, meine Ebenbildlichkeit. Das kann sich ohne besondere Stimmung ereignen, denn es ist unabhängig von Gefühl und religiöser Leistung GOTTES Geschehen in und an mir.

Zusammenschau

Mit Kontemplation ist des weiteren die gesamte Lebensweise gemeint: Ich lebe unter dem Angesicht Gottes, vom Morgen bis zum Abend mit all meinem Tun und Lassen.

In der Kontemplation als „Zusammenschau“ kommt zusammen, was wir Menschen sonst so oft trennen: Geistliches und Profanes, Arbeit und Gebet, Dunkel und Licht, Himmel und Erde, Tempel und Leib „Ihr seid ein Tempel des heiligen Geistes“. (1 Korinther 6)

Mein Leben ist Gebet und mein Gebet ist mein Leben. Das ganzes Leben ist ein Sakrament, wie die Quäker bekennen. Diese verbindende Zusammenschau verbindet mich auch mit allem Lebendigen um mich herum, allen Menschen und Geschöpfen, ich erkenne im kontemplativen Dasein in jedem Lebewesen Gottes Licht, seinen Schriftzug. Es gibt kein „außerhalb“ von GOTT. Ich bin mit allem verbunden, ein Teil im großen Ganzen und jede Lebensäußerung von mir hat Auswirkung auf den gesamten Kosmos, also jedes Wort, jeder Gedanke, jede Träne, jedes Gebet, jede Hoffnung, jede Sünde, jede Zuwendung, jede hilfreiche versöhnende Geste. Ich schaue zusammen, d.h. ich erkenne im Außen Gottes Gegenwart und ich erkenne sie in meinem Innern. Oft sich gegenseitig entsprechend wie Makrokosmos und Mikrokosmos. Dies zeigen Bildaufnahmen vom Innern einer menschlichen Zelle und von einem Stückchen Weltenraum in unendlicher Ferne, mit wachsender Tiefe bzw Entfernung gleichen Mikrokosmos und Makrokosmos einander.

Zusammenkommen

In der Kontemplation kommt zusammen was zusammengehört. In der Erzählung von Jesu Reinigung des Tempels (Matthäus 21,12-17) entdecke ich ein Gemälde von Kontemplation. Jesus wirft die Händler und das System von Kaufen und Verkaufen hinaus. Der Tempel war mehrfach besetzt, eben auch durch die Anmaßung, dass manche herein durften und andere nicht. Die Frage der Zugänglichkeit besetzt den Tempel. Jesus reinigt das Zentrum der Anbetung und Gottesbegegnung, den Innenraum der Identität von Volk und Einzelnem. Zur Empörung kommt es weniger über die Reinigung als darüber wer jetzt in den Tempel hereinkommt: Kranke und Kinder. Kinder die Hosianna schreien. Jesus betont dass sie es sind die hierher gehören. „Wisst ihr nicht, dass GOTT sich aus dem Mund der Säuglinge sein Lob bereitet.“ Jesus verweist auf Psalm 8. Kinder gehören ins Innerste und sie proklamieren Jesus als Sohn Gottes und rufen Ho schi ana. Mit diesem Ruf bitten sie um Hilfe und beten zu gleich an. Schrei und Anbetung umarmen sich in diesem Ruf: Klage und Proklamation der einen Macht Gottes verbünden sich. Hoschianna ruft da Geheimnis des göttlichen Namens in die Welt, ruft die Gegenwärtigkeit Gottes aus und hängt den Rufenden an diese heilende Wirklichkeit des einen Namens. Da geschieht Kontemplation. Ich lasse mich dasein, lass mich befreien, reinigen von den Besetzungen meines Innen, von der Handelsmentalität, die nach der Verwertbarkeit meines Glaubens sucht. Ich lasse mich da sein, wo ich hingehöre, ins Innen Gottes in meinem Innern, lass mich Kind sein, lass mich selbst zum Munde Gottes werden, lasse seinen Namen auf meinem Herz und Mundlippen da sein. So lasse ich Kontemplation geschehen als Hineinführung ins Heilige.

Dr. Thea Vogt

(Beauftragte der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern für die Ausbildung zur Anleitung in christlicher Meditation)

Wald ringsum den Schwanberg