Spirituelle Auszeiten – Interview mit Alexander Brandl
Was passiert eigentlich in einer spirituellen Auszeit? Alexander Brandl, Pfarrer und Theologisch-Pädagogischer Vorstand am Geistlichen Zentrum im Evangelischen Kloster Schwanberg, spricht im Interview mit seiner ehemaligen Konfirmandin Merle aus seiner früheren Gemeinde in München über innere Unruhe, echte Begegnung – mit sich selbst und mit Gott – und darüber, warum Loslassen manchmal der einzige Weg ist, um wirklich zur Ruhe zu kommen.
Merle
Wie würdest du eine spirituelle Auszeit für dich erklären oder definieren?
Brandl
Die vielleicht überraschende Antwort ist: Eine spirituelle Auszeit hat immer etwas mit Kontrollverlust zu tun. Das heißt, ich überlasse mich einer Sache. Zum Beispiel Gott.
Und ich weiß, dass viele bei so einer Auszeit erst mal was Positives suchen, und das ist auch nicht falsch. Aber oft passiert erstmal was Erschreckendes. Wenn ich wirklich zu innerer Ruhe kommen will, muss ich die Kontrolle abgeben. Am Anfang stresst das einen. Aber erst, wenn ich mich auf das einlasse, kann ich es schaffen loszulassen, und dann kann etwas passieren, was mir sonst vielleicht im Alltag nicht passiert. Zum Beispiel wirklich eine Form von Selbstbegegnung oder Gottesbegegnung, die ich sonst nicht kenne.
Merle
Warum wollen Menschen spirituelle Auszeiten machen? Was sind ihre Beweggründe und was erhoffen sie sich davon?
Brandl
Viele suchen wie gesagt einerseits etwas Positives: Ruhe, innere Ruhe, Entspannung, zu sich zu kommen. Aber tatsächlich kommen Menschen hierher und es kommt erstmal eine Unruhe. Weil sie nämlich aus dem Alltag rausgehen, wo sie ihre ganzen Gedanken schön verdrängen können und plötzlich kommen diese Gedanken in der Stille und in dieser Klarheit hoch. Da geht das Gedankenkarussell erst richtig los. Das heißt, Menschen suchen Ruhe und kriegen erstmal eine große Unruhe. Das kann natürlich sehr frustrierend sein, aber da muss man einfach mal durch. Und dann kommt eine nachhaltige innere Ruhe, weil ich eben all diesen Gedanken Raum gegeben habe. Diese Ruhe kann man weder herbeizaubern, noch beschleunigen, sie ist aber unvergleichlich wohltuend.
Andererseits suchen Menschen die Gemeinschaft mit Gleichgesinnten. In der Gesellschaft ist es oft nicht mehr normal, gläubig zu sein. Man fühlt sich manchmal wie ein Alien und denkt sich, niemand versteht mich. Dann ist es wohltuend, hier Menschen zu begegnen, die auch mit Gott rechnen in ihrem Leben. Also ist eine spirituelle Auszeit quasi Wellness mit Verzögerung.
Merle
Gibt es besondere Geschichten oder Begegnungen mit Menschen im Kloster, die dir sehr im Gedächtnis geblieben sind?
Brandl
Eigentlich meine eigene. Das war 2018. Da war ich an einem Punkt in meinem Leben, wo eigentlich alles wirklich gut war. Und da war trotzdem so eine Leere und irgendwie das Bedürfnis oder die Frage – war es das jetzt? Mit dieser inneren Frage bin ich auf den Schwanberg, weil mir das jemand empfohlen hat: Zum Meditieren. Ich habe wirklich im Meditieren, in dieser Stille gespürt, dass über all die Jahre Gott da war und ich ihn eigentlich nur nicht mehr gesehen oder nicht mehr wahrgenommen hatte. Und plötzlich war da diese ganz starke Präsenz, die mich dazu gebracht hat zu überlegen, ob ich diesem Thema noch viel mehr Raum in meinem Leben schenken will. Ich bin dann nicht sofort, aber über die nächsten Monate zum Entschluss gekommen, Pfarrer werden zu wollen.
Aber erstmals hatte ich diesen Gedanken am Ende von diesem Meditationstag hier auf dem Schwanberg. Mit einer sehr weisen Schwester, die nie ein Wort zu viel gesagt hat. Sie hat einen Raum geschaffen, der mich total in den Bann gezogen und mir durch diese Klarheit eine Gottesbegegnung ermöglicht hat. Mein neuer Weg mit Gott hat also auch mit einer spirituellen Auszeit angefangen.
Zuerst erschienen im Gemeindebrief 06-10/2025 der Emmauskirche München-Harlaching.